Eines Tages brach auf dem Olymp ein bitterer Kampf zwischen Athena, der Göttin der Weisheit, und Poseidon, dem Gott des Meeres, aus in Bezug auf den Besitz der Halbinsel Attika. Wie es in solchen häufigen Fallen üblich war musste Zeus einschreiten, und er schlug daher den beiden Gegnern Folgendes vor: Wer der Menschheit das nutzvollste Geschenk brachte, welches es überhaupt gab, war der Sieger. Der zornige Poseidon stieß seinen Dreizack in den Felsen der Akropolis und lockte eine riesige salzige Fontäne hervor; Athena hingegen brachte Zeus eine kleine immergrüne Pflanze mit silbernen Blättern und setzte sie dort, wo es lange heiße Sommer und wenig Regen gab: Es handelte sich um den unsterblichen Olivenbaum, welcher dem Menschen den außergewöhnlichen Saft seiner Früchte schenkt, aus dem er Nahrung, Kraft, Gesundheit und Schönheit gewinnen kann. So entschied Athena den Zwist für sich und wurde von Zeus belohnt, in dem er ihr Attika schenkte. Aber nicht nur in der griechischen Mythologie gibt es Geschichten und Legenden, in denen der Olivenbaum eine große Rolle spielt; als die biblische Urflut beendete und Noah eine Taube aus der Arche ließ, kam sie am Abend zurück und trug in ihrem Schnabel einen frischen Olivenzweig. Dieser deutet auf den Bund, welcher zwischen Gott und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde geschlossen wurde. Der Olivenbaum, das “Geschenk der Götter”, beinhaltet eine ausgeprägte Symbolik, die unerschüttert die Zeit der historisch-kulturellen Transformationen überlebt hat: Von den Stämmen aus Israel in der Wüste bis zu den Versammlungen der Bürger von Athen, von der Macht des Römischen Reiches bis zu den mittelalterlichen Abteien, die als Hüter des Wissens in den dunklen Jahrhunderten dienten, von der Industriellen Revolution bis zu den schweren Krisen der Weltkriege hat der Olivenzweig immer seine tiefe Bedeutung beibehalten.
Ikonographisch ist er auf den Toren des Tempels Salomons dargestellt, aus Oliven- und Zederholz war nach der christlichen Tradition das Kreuz, das Jesus trug, und für die Ismaeliten symbolisierte dieser “Heilige Baum” ewige Gastfreundschaft und das Paradies.
Einer der wichtigsten Aspekte der kulturellen Kraft des Olivenbaums ist seine geographischen Verbreitung, obwohl er auch schaffte, außerhalb des Mittelmeerraumes gewisse Einflüsse auszuüben. Antike Kulturen, welche keinen Olivenbaum hatten, beweisen, dass er immer etwas Positives vermittelte; nach einer alten chinesischen Tradition wirkt Olivenholz gegen Gifte, in Japan symbolisiert er Sieg, Erfolg beim Lernen und in jeder Art von Unternehmen, und in der Shintoistischen Mythologie ist Öl das ursprüngliche “Wasser”, aus dem Welt und Mensch entstanden. In den Zivilisationen des Mittelmeeres hatte das Olivenöl eher die Konnotation eines Mittels zwischen Mensch und Gott: Es wurde in denRiten angewendet, um die Anerkennung der Macht Gottes über den Menschen zum Ausdruck zu bringen, die Ägypter verwendeten ihn als Balsam, die katholische und jüdische Liturgie schrieben vor, alle Lampen, welche die Anwesenheit
Gottes in den Kirchen und Synagogen bezeugten, mit Olivenöl zu speisen. Das Olivenöl stellt aber auch eine Geschichte gewöhnlicher, alltäglicher Gegenstände der Antike dar, welche Vasen für aromatische Parfüme sind, Lampen und Ölständer mit wunderschönen dekorativen Elementen und Behälter aus Ton oder Keramik. Ihre Verzierungen beinhalteten alte Zeichen, die symbolische Funktionen hatten und die über Jahrhunderte gleich blieben.
Wahrheit und Mythos verleihen dem Olivenöl die Faszination und die Wichtigkeit, die es heute in unserem Leben hat: Es ist im Grunde genommen nicht so wichtig, ob einige Menschen es lediglich als Nahrungsmittel betrachten und andere ihm vieles mehr zuschreiben, ob die Trends der Mode es als so begehrt wie einen Spitzenwein betrachten oder man ihm ein gewöhnliches Pflanzenöl vorzieht; Tatsache ist, dass seine aufregende Geschichte, die majestätische Größe der Bäume, die Langlebigkeit die sich der Ewigkeit nähert – man behauptet, dass die Bäume auf dem Getsemani, dem Ölberg bei Jerusalem, unter gebetet hat, immer noch die gleichen sind – und sein ausgezeichneter Geschmack und Aroma es zu einem der Renner unserer Zeit gemacht haben. Die Prozedur der Ernte ist sehr mühselig da es notwendig ist, alle Oliven mit der Hand zu pflücken; eine Variante besteht aber darin, sie mit Stangen von den Ästen zu schlagen und auf Auffangnetze fallen zu lassen. Innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach der Ernte müssen die Oliven zur Ölmühle gebracht werden, wo sie zuerst gereinigt werden und dann zwischen zwei schweren Marmor- bzw. Granitwalzen zu einem Brei zermahlen werden; heute verwendet man vorwiegend hydraulische Pressen, ohne aber Hitzezufuhr oder Chemikalien. Die durch dieses Verfahren erstgewon nene Emulsion aus Öl und eigenem Wasser wird in eine Zentrifuge gebracht, die beiden Bestandteile voneinander trennt. Das Produkt das dadurch entsteht ist ungefiltertes, leicht trübes und geschmacksintensives kaltgepresstes Olivenöl. Anschließend wird es gefiltert.
Folgende Merkmale muss das Öl haben, um als erstklassig bezeichnet werden zu können: Es darf maximal 1 Gramm freie Fettsäure pro 100 Gramm enthalten, sollte in dunklen Flaschen aufbewahrt werden, da es sehr lichtempfindlich ist und seine optimale Farbe ist goldgelb. Grüne Öle weisen darauf hin, dass man entweder Olivenblätter mitgemischt hat oder dass die Ernte stattfand, als die Früchte noch nicht ganz reif waren, mit der Folge eines bitteren Geschmacks. Keinen Einfluss auf die Qualität des Olivenöls hingegen nimmt die eigentliche Densität (Grad der Flüssigkeit); es werden nämlich, je nach Klimazonen, Bodenbeschaffenheit und Olivenart, verschiedene Olivenöl sorten erzeugt, welche sich durch Dickflüssigkeit, Aromen und Duftvarianten unterscheiden.
Was den Geschmack anbelangt gibt es mildere, saurere und intensivere Öle, wiederum von der Baumsorte und der Produktionsgegend abhängig; jedenfalls sollte ein gutes Ölmild und weich sein, ohne dass eines der Geschmackselemente dominiert und seine Eigenschaften müssen erlauben, dass bei den Gerichten die das Olivenöl begleitet, es niemals deren Eigengeschmack übertönt.
Im Mittelmeerraum sind ca. 150 verschiedene Olivenbaumsorten vorhanden: Sie erreichen eine Höhe von 16 m, können 1000 Jahre alt werden, brauchen ca. 20 Jahre bevor sie die begehrten Früchte tragen, deren Fleisch 15 bis 35% Öl enthält und reich an ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen (hauptsächlich Vitamin E), Mineralstoffen und Spurenelementen ist. Solche wichtigen Bestandteile wirken gesundheitsfördernd auf unseren Organismus: Sie senken nämlich den Cholesterinspiegel im Blut mit der Folge eines geringeren Risikos des Herzinfarkts und der Arterienverkalkung, verlangsamen den Alterungsprozess, lindern Schmerzen, glätten und schützen empfindliche Haut und fördern das Gedächtnisvermögen. Athena behielt doch Recht: Der Olivenbaum ist sicher eines der nutzvollsten Geschenke für die Menschheit ist, das es überhaupt gibt.